Eine dunkle, hagere Gestalt schlürft über ein schneebedecktes, vereistes Kopfsteinpflaster. Langsam, müde, und hungrig.
Der Mantelsaum ist durchnässt von den Schneemassen, er ist schwer und ausgefranst von den vielen Wegen, die der Mantelträger hinter sich bringen musste. Der Mann, ein älterer Mann, stütz sich beim Vorwärtsgehen immer wieder auf einen Stock, den er sich aus einem einigermaßen geraden Ast geschnitzt hatte. Mit ihm geht ein Kind. Nicht fröhlich, nicht singend, sondern stumm und verzweifelt. Die Hosenränder ausgefranst und mit durchlöcherten, ausgelatschten Schuhen. Opa und Enkel, sie sind allein. Allein und auf sich gestellt.
Die Eltern des Kindes sind mit einem Schiff und voller Hoffnung aufgebrochen und haben die beiden in Hamburg zurückgelassen. Sich selbst überlassen. Sie konnten nur zwei Schiffskarten kaufen, weil die Überfahrt in ein neues Leben sehr teurer ist. Darum entschieden sie sich in aller Stille als Mann und Frau aufzubrechen und das Kind bei Opa zurückzulassen. Kein Einzelschicksal in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhundert. All dies spielte sich tagtäglich so in Hamburg ab. Viele verließen ihre Familien und überließen die Zurückbleibenden damit ihrem Schicksal. Diese lebten dann auf Hamburgs Straßen, obdachlos, verwahrlost und der Zukunft beraubt.
Der Opa und der Enkel, kommen an einer Straßenecke an. Dort, hinter einem langen Tisch steht eine Frau mit einem großen Kochlöffel und rührt in einem großen Topf. Der leckere Duft eines Erbseneintopfs durchdringt ihre kalten Nasen. Sie stellen sich in der Schlange an, die sich gebildet hat. Eine zweite Frau reicht jedem, der ansteht, eine gefüllte cüssel. Für viele die erste Mahlzeit seit sehr langer Zeit. Der Opa und der Enkel sind einen Schritt weiter. Sie sind nicht gerettet, aber sie sind auf ihrem Weg. Löffel für Löffel. Schritt für Schritt. Besserung!
Solche Hilfsküchen, die an den Straßen in vielen Elendsviertel aufgestellt wurden, wurden in dieser Zeit von einer Bewegung organisiert, die ihre Wurzel tief in den christlichen Gemeinden hatte. Menschen wie zum Beispiel Johann Hinrich Wichern (1808-1881), der das erste Heim für verwahrloste, obdachlose Kinder und Jugendliche gründete, war evangelischer Pfarrer und er konnte das Elend auf Hamburgs Straßen nicht mehr länger mit ansehen. Glauben an Gott hieß für ihn vor allem Gottes Liebe durch Handeln am und für den Mitmenschen zum Ausdruck zu bringen.
Wichern gründete mit anderen Vertretern der Evangelischen Kirche den Verein für Innere Mission, die Vorläuferorganisation der heutigen Diakonie, eine Hilfsorganisation der Evangelischen Kirche Deutschlands. Am 9. November 1897 wurde der deutsche Caritasverband von Lorenz Werthmann gegründet. Der Wohlfahrtsverband der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, mit über 900 eingetragenen Mitgliedsvereinen und über 660.000 Mitarbeiter. Das Motto der Caritas lautet „Not sehen und handeln“. Die Diakonie wurde bereits am 22. September 1848 geründet. Diese Hilfsorganisation hat 599.282 angestellte Mitarbeiter der angeschlossenen Organisationen und Vereine und über 700.000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Damit kommen die beiden Hilfsorganisationen auf ca. 1,5 Millionen Menschen, die beruflich oder ehrenamtlich für unser Land arbeiten und Menschen helfen.
Den Mitmenschen zu helfen hat also eine sehr lange und sehr tiefgehende Tradition in unserem Land. Und in diese großen Fußstapfen sind wir als SMV auch in diesem Jahr wieder getreten, durch unser Mittun an der Tütenaktion „Freude schenken“, die die beiden christlichen Hilfsorganisationen auch in diesem Jahr durchführen.
Die Hilfsaktion „Freude schenken“ entstand Anfang der 50er Jahre und in dieser Zeit waren die mit Liebe gefüllten Tüten von großer Bedeutung für die Flüchtlingslager in der Nachkriegszeit in Karlsruhe. Viele sogenannte „Heimatvertriebene“ - Menschen, die ihre Heimat in den Wirren des Zweiten Weltkrieges verloren hatten, waren über eine lange Zeit in Lagern untergebracht. So entstand die Idee diese Menschen durch die gefüllten Tüten zu unterstützen. Das ist nun weit über 70 Jahre her und die Aktion hat sich über die Grenzen von Karlsruhe ausgeweitet. Aktuell werden jedes Jahr 8.000 leere Tüten verteilt, von denen rund 6.000 gefüllt wieder zurückkommen. Ein sehr gutes Ergebnis.
Wir von der Käthe-Kollwitz-Schule Bruchsal durften dazu mit über 120 gefüllten Tüten beitragen. Ein herzliches Dankeschön an alle Schülerinnen und Schüler, Kolleginnen und Kollegen, die sich mit großem Interesse und Mitgefühl für die Empfänger der Geschenke an der Aktion “Freude schenken” beteiligt haben. Danke für Eure Mithilfe! Mit den von uns befüllten Aktionstüten senden wir weihnachtliche Grüße an alle Menschen, die sich über das Weihnachtsgeschenk freuen.
Bericht: Tobias Ott
Foto: Janina Weber