Warum ist Politik eigentlich so...

... langweilig?
... kompliziert?
... langsam?

Diese und ähnliche Fragen stellen sich immer noch viele junge Menschen in Deutschland, Europa und weltweit.

meu1Einer der Hauptgründe für diese Entfernung und den fehlenden Bezug zum politischen Geschehen könnte unter anderem die fehlende Praxiserfahrung sein. Denn Politik zu machen ist, historisch betrachtet, schon immer eher den Älteren vorbehalten gewesen - doch das ändert sich!
Wie meine Generation Teil der Veränderung sein könnte, möchte ich mit diesem kleinen Bericht über meine Teilnahme am Modeling MEU in Brüssel erläutern:

Modeling Europäische Union (kurz: m) heißt im Prinzip, Europapolitik nachzuspielen.
Nachdem ich mich bei dem italienischen Eastwest-European-Institute (EWEI) beworben hatte, wurden mir einige Wochen vor Beginn der Simulation die ersten Materialien (online) sowie das zu behandelnde Thema, das Programm und Dokument zur Verfügung gestellt. Die Themen variieren je nach Veranstalter und aktueller geopolitischer Lage, behandeln jedoch immer Verträge oder Strategien bezüglich der Zukunft Europas.

Bei dieser Simulation ging es darum, einen Vertrag zu den EU-China-Beziehungen der nächsten fünf Jahre zu bearbeiten, bestimmte Artikel zu verändern und anschließend eine überarbeitete Version der EU-Präsidentschaft (innerhalb der Simulation) vorzulegen.

Ufff, denkt sich jetzt vielleicht die ein oder der andere ... Das klingt ganz schön kompliziert! So ging es mir zuerst auch. Obwohl ich politisch sehr interessiert bin, fühlte ich mich nicht der Aufgabe eines EU-Abgeordneten gewachsen.
Glücklicherweise hatten wir, bereits zwei Wochen vor Beginn de Simulation, jeden Nachmittag ein Webinar zu verschiedenen Aspekten der EU, der derzeitigen Beziehung zwischen der EU und China und zu Formalitäten, wie beispielsweise Public Speaking oder dem Prozedere während einer Parlamentssitzung. Es war super spannend; unter den Redner*innen befanden sich EU- Abgeordnete, der Wirtschaftsminister Italiens, ein Professor der Universität Peking und viele weitere!

Nach gründlicher Vorbereitung rückte der Tag X also näher.

Drei Tage vor meiner Abreise nach Brüssel bekam ich meine Rolle zugeteilt. Ich wurde der Renew- Europe-Group, der neoliberalen Fraktion des Europaparlaments, als Abgeordneter Frankreichs zugeordnet. Nun musste ich mich zunächst also mit meinen Fraktionskolleg*innen darüber austauschen, welche Positionen wir denn generell vertreten wollten. Außerdem wurde von uns erwartet, am ersten Tag eine*n Fraktionsvorsitzende*n sowie -stellvertreter*in zu wählen, welche dann auch eine fünfminütige Rede zu der Position unserer Fraktion halten sollten. Abstimmen wollten wir erst am Montagmorgen, am ersten Tag, stellten jedoch vorab schonmal eine Liste potenzieller Kandidat*innen zusammen - na logo, dass ich mich auch aufstellen ließ! Man hat ja nicht täglich so eine Möglichkeit.

Sonntagabend durfte ich (informell) schon die ersten meiner Mitstreiter*innen kennenlernen und war sehr beeindruckt; Alle außer mir studierten bereits, das Durchschnittsalter der ca. 200 Teilnehmenden betrug 22 Jahre, viele hatten schon mehrere Erfahrungen im Bereich der Politikgesammelt und kamen aus allen Ecken Europas. Alle waren sehr freundlich, gut drauf und deutlich entspannter, als ich es mir vorgestellt hatte. Mit gemischten Gefühlen erwartete ich also den nächsten Tag.

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Montag: Tag eins der Simulation. Ganz wie im echten Parlament wurde die erste Debatte formell eröffnet, durch eine sogenannte Motion. Um bestimmte Phasen des Arbeitsprozesses einzuleiten, müssen Abgeordnete Motions fordern - z.B. eine Motion, eine 30-minütige informelle Konsultationsrunde zu haben. Eine Motion ist dementsprechend als Antrag auf eine bestimmte Handlung zu verstehen. Daraufhin wurden weitere Motions angehört und schließlich chronologisch über diese abgestimmt. Wurde eine Motion mehrheitlich angenommen, wurde dieser durch die Präsidentschaft stattgegeben und umgesetzt.

Aber zurück zum Thema: Der erste Tag startete mit einem Austausch innerhalb der Fraktion, der Formulierung einer gemeinsamen Rede zur Position und mit der anschließenden Wahl der Fraktionsvorsitzenden. Überraschenderweise wurde ich Vorsitzender, was mich natürlich sehr gefreut hat ... ich konnte mich ja auf die tatkräftige Unterstützung meiner Vize und der gesamten Fraktion verlassen.
Nachdem alle Fraktionen (insgesamt sind es sieben) ihre Positionsreden gehalten hatten, begann der wirklich spannende Teil: Die Debatten, Forderungen, Verhandlungen.

Dienstag: Tag zwei. Geprägt von Gruppenarbeiten innerhalb der Fraktion und Koalitionsgesprächen mit anderen Fraktionen war der Tag relativ entspannt. Der Fokus lag für uns als Fraktion darauf, die Artikel des EU-China Vertrags nach unseren Wünschen (also den offiziellen Positionen der echten REG-Fraktion) umzuformulieren. Das war zuerst gar nicht so einfach, da wir auf juristisch stabile Formulierungen achten mussten und uns gleichzeitig ja auch von den anderen Fraktionen inhaltlich abgrenzen, aber nicht abschotten wollten.

Mittwoch: Der dritte und letzte Tag brachte nochmal Action mit sich. Finale Koalitionsgespräche wurden geführt, die anderen Fraktionen hatten im Laufe des gestrigen Tages schon einen gemeinsamen Vorschlag ausgearbeitet. An sich war das erstmal ungünstig für uns. Genau wie in der Realität lag es auch in unserem Interesse, möglichst viele unserer Forderungen durchzusetzen. Wir mussten aber auch beachten, wie unsere Fraktion im echten Leben gehandelt hätte; ob bzw. bis wohin Kompromisse überhaupt tragbar wären.
In reger Diskussion mit dem Council, den Staatsoberhäuptern aller EU-Länder, einigte wir uns im Plenum schließlich auf eine finale (veränderte) Version des Vertrags.

Felix

Nach der erfolgreichen Abstimmung war die Simulation offiziell beendet.

Abschließend wurden einige Auszeichnungen, sog. Honorable Mentions für Teilnehmende vergeben, die besonders gut die Rolle ihrer Abgeordneten bzw Fraktion vertreten und gespielt hatten, mit ihren Beiträgen und Reden herausgestochen waren oder inhaltlich besonders großen Anteil an der Ausarbeitung des veränderten Vertrags hatten. Zusammen mit ca. 10 anderen erhielt auch ich eine Honorable Mention für meine Arbeit und Beiträge.

Der von uns überarbeitete Vertrag wurde inzwischen als Vorschlag an die echte EU-Komission geschickt. Ob das aber wirklich einen Unterschied macht, bleibt fragwürdig.

Nichtsdestotrotz konnte ich viele neue Erkenntnisse mitnehmen.
Wie arbeitet das Europaparlament, wo überschneiden sich die Institutionen, welche Formalitäten gilt es zu beachten und warum ist es manchmal gar nicht so leicht, den richtigen Kompromiss zwischen Werten und anderen Interessen zu finden. Oft werden in politischen Verhandlungen Konflikte deutlich, die einem sonst gar nicht bewusst sind. Idealerweis würde man die eigenen Werte über ökonomische Interessen setzen. Wenn die ökonomischen Interessen dann aber langfristig bei der Verwirklichung der Werte helfen könnten, wird es direkt schwieriger, sich klar auf eine Maßnahme zu einigen.

All das gibt mir zumindest teilweise Antwort auf die oben genannten Fragen; Politik ist nicht langweilig, wenn man mitmacht, durchaus kompliziert, weil die Welt kompliziert ist und langsam, weil Demokratie eben Kompromisse bedeutet.

Kompromisse, die erkämpft und verhandelt werden müssen. Kompromisse, bei denen jede Stimme zählt.

Also erhebe auch Du Deine Stimme und finde heraus, dass Du dich leichter als gedacht politisch engagieren kannst, darfst und sollst!

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Felix A. Detmering, SG J2/2